Vermeintliche
Stille
In Nordwalde habe ich meinen ersten und meinen letzten Tag mit Aufnahmen für das Tonwelten-Projekt verbracht. Ich habe hier Ende Oktober im strömenden Regen begonnen Klänge zu suchen und im März als Abschluss bei strahlendem Sonnenschein am Ufer des Lintels Brook den plätschernden Wellen gelauscht.
Riesige Spanne an Emotionen
Diese riesige Spanne an Emotionen ist nicht in einer Aufnahme festzuhalten. Dementsprechend fällt es mir schwer eine Tonaufzeichnung zu wählen, die die Gemeinde besonders gut repräsentiert. Ich habe daher stellvertretend für fast alle Aufnahmen des Projekts eine gewählt, die die Menschen in den Mittelpunkt rückt, die mir einen gelungenen Abschluss der fünfmonatigen Sound-Reise überhaupt erst ermöglicht haben. Ohne die Unternehmer*innen und Anwohner*innen, die mich immer wieder eingeladen und mich in ihre individuellen Tonwelten hineingelassen haben, wäre ich den Gemeinden niemals so nahe gekommen.
Wieder in der Welt ankommen
Am Morgen dieser Aufnahme hatte ich bereits die lautstarke Klangkulisse eines Pausenhofs in Absprache mit der Grundschule Nordwalde aufgenommen, außerdem zwei metallverarbeitende Unternehmen. Die dicht getakteten Termine und die akustische Natur dieser Geräusche hatten einen enormen Eindruck auf mich gehabt. Nach einer mehrstündigen Session bei der Firma Trendelkamp trat ich aus der Tür und musste erstmal mit allen Sinnen wieder in der Welt ankommen.
Vermeintliche Stille
Die Gespräche mit den Menschen der Firma Trendelkamp und ihre unterschiedlichen Maschinen und Tätigkeitsfelder hatten bei mir einen so starken Eindruck hinterlassen, dass ich, obwohl inzwischen sehr hungrig, nichts weiter tun konnte, als mich auf den Boden im Hof zu setzen und die vermeintliche Stille um mich herum zu hören. Bald würde die Produktion der Firma in neue Räumlichkeiten umziehen und ggf. würde der von mir intensiv belauschte Raum dann still werden. So wie ein verbarrikadierter Brennofen und die verfallenen Hallen um mich herum.
Die vielbefahrene Straße, einer der Hauptverkehrswege von Nordwalde, führte wenige Meter neben mir vorbei. Doch durch die alten Gebäude, die mich umgaben, war ihr Klang unwirklich in die Ferne gerückt. Der Wind schob vertrocknete Blätter vom letzen Herbst über den Boden neben mir. Das war genau die Art von Geräusch, der ich meine Aufmerksamkeit in diesem Moment widmen konnte.
Vergangenheit und Zukunft vereint
Die Geräusche der einkaufenden und ihre Autos beladenden Menschen beim angrenzenden Discounter verschwanden fast völlig. Die spärlichen Rufe der Vögel verstärkten das Gefühl von Distanz. Lediglich das sporadisch im Wind wackelnde Tor der Industrieruine vor mir diente als Brücke zur Realität und verortete die Geräusche in einem wirklichen Raum. Vielleicht ist dieser Klang ein sehr persönlicher Eindruck und keine Erfahrung, die die hier lebenden und arbeitenden Menschen teilen können. Aber es ist ein ungewöhnlicher Moment der Stille, der die Vergangenheit und Zukunft von Nordwalde für mich vereint und als Ausgangspunkt für eine Hörreise durch diese abwechslungsreiche Gegend dienen kann.