Rädelbretter, Foto von Nils Mosh

Rädeln
pure Freude!

Klänge vor dem
Aussterben retten

von Nils Mosh, Field Recordist

Für Heiden einen einzigen Sound auszuwählen fällt mir, wie auch schon im Falle von Nordwalde, nicht leicht. Meine Aufnahmen vom Milchhof kämen für mich in die enge Auswahl. Hier ist ein Steinkauzpärchen bei der Balz zu hören und im Hintergrund rufen die erwachenden Kühe. Oder auch die Dohlen beim Einflug in ihren Nachtplatz, mit wildem Gekreische während ihrer Flugmanöver. Doch aufgrund der Gesamtheit der Geschehnisse, die zu dieser Aufnahme führten, muss ich mich für das Rädeln entscheiden.

Heidens akustisches Highlight

Rädeln? Ich hatte noch nie von diesem Begriff gehört. In einer Facebook-Gruppe wurde er mir jedoch als akustisches Highlight in Heiden genannt. Rädelbretter sind Holzbretter mit Hämmerchen an einem Drehmechanismus. Wenn an Gründonnerstag keine Glocken mehr läuten dürfen, ziehen Kinder und Jugendliche durch die Straßen des Ortes und machen stattdessen mit den Rädelbrettern ordentlich Lärm.

Rädeln früher und heute

Früher waren es Gruppen von um die hundert Kindern. Heute sind es wohl wesentlich weniger Kinder pro Straßenzug, die von Tür zu Tür ziehen und dabei Eier oder Geld erhalten, damit der Lärm aufhört. Andere Gemeinden in Deutschland, das habe ich durch meine Gespräche vor Ort erfahren, verfügen über ähnliche Bräuche. Diese sind bekannt als „Ratschen“, „Rätschen“ oder „Klappern“. Da die Tonaufzeichnungen nur bis Ende März angelegt waren, war der Gründonnerstag leider, wenn auch knapp, außerhalb des geplanten Aufnahmezeitraums.

Spontaneität und Freude

Glücklicherweise haben wir Freunde in Heiden, die mir sagten, dass sie ein Rädelbrett im Keller hätten. Ehe ich mich verhörte kamen noch weitere Bekannte dazu, brachten ihre eigenen Rädelbretter mit und ließen das charakteristische Geräusch ertönen. Die Bereitschaft mir zu helfen sowie die Spontaneität und Freude der Menschen darüber, vor den Mikrofonen zum Rädeln zusammenzukommen ist es, die für mich die Gemeinde Heiden am besten beschreibt. Sogar nach Abschluss meiner Aufnahmen habe ich noch ein Video aus Heiden geschickt bekommen, in dem ich den Klang der rädelnden Truppe in den Osterferien hören und sehen durfte.

Der nie gehörte, aber vorgestellte Klang von hunderten Rädelbrettern, so wie er früher in Heiden zu hören war, resoniert noch heute manchmal in mir.

Feine Unterschiede

Im Zuge der Aufnahmen war es spannend, die kleinen aber feinen handwerklichen Unterschiede der verschiedenen Bretter zu sehen und auch im Klang zu hören. Das älteste Brett stammte noch aus der Jugend eines älteren Anwohners, aus den 1960er Jahren. Es war ganz anders gearbeitet als die übrigen Instrumente. Viel mehr noch als diese Aufnahme an sich aber waren die Erinnerungen spannend, die in den Diskussionen und Erzählungen über das Rädeln auflebten. Der nie gehörte, aber vorgestellte Klang von hunderten Rädelbrettern, so wie er früher in Heiden zu hören war, resoniert noch heute manchmal in mir. Ich habe zudem bemerkt, wie er in den verschiedenen Gesprächen zum Thema bei den Anwesenden wieder lebendig geworden ist.

Das war eigentlich genau das, was ich mir mit meiner Arbeit zu erreichen erhofft hatte: den Menschen vor Ort ihr eigenes Umfeld hörbar zu machen, das gegenwärtige wie auch das vergangene.