Ascheberg, ICE

Wir sind umgeben
von Schall, doch
hören wir auch hin?

Ascheberg ICE

von Lis Schröder, Medienkünstlerin

Für immer verdorben von Twin Peaks und Stand By Me. Bahngleis-Grusel, Bahndamm-Horror. Stolpern über Schienen, die Lichtkegel von Taschenlampen im Wald, die Suche nach Vermissten, blasse jugendliche Gesichter, und manche Details sind seltsam erotisch aufgeladen. Das sind die Gleise meiner popkulturellen Prägung, die beim Klang diese Aufnahme leicht zu vibrieren beginnen. Eine Neunziger-Jahre-Jugend mit David Lynch und Stephen King im Münsterland.

Doch dies hier ist ein Klang aus dem Jetzt, und er ist groß. Überwältigend, die Dramaturgie perfekt: Im anschwellenden Dröhnen pulsiert leise ein Subbass, in der Mitte knistert es, ein zunehmendes Pfeifen wie von Wind ist in der Höhe zu hören. Das Fade-in, das Crescendo, der Doppler-Turn, der Schweif, und dann das Verklingen dieser Erscheinung in der unbegreiflichen Weite des Raumes.

Es ist, als könne man den rasenden Lichtstreifen, die Bewegungsunschärfe hören. Und in einer waghalsigen Engführung aus Psychoakustik und Psychedelik entsteht durch den Klang im Kopf ein schlierenhaftes Bild vom Innenleben des ICE. Wir ahnen die in dieser Sekunde stattfindenden vielleicht 24 Handykonversationen, 18 Face-to-face-Konversationen in blaugemusterten Sitzen, 12 richtig tief Schlafende, 38 Dösende, 51 Medienkonsumierende (analog und digital), die Zugbegleitenden auf schon leicht schweren Beinen wankend in den Gängen. Und diese eine Person, die den Zug ungerührt durch die Nacht fährt, mit all dem im Rücken.

Im Coming-of-Age-Film, der gerne in ländlichen Gegenden oder Kleinstädten spielt, steht der Zug wohl irgendwie für die Möglichkeit des Weggehens, für die Geschwindigkeit und mitunter auch das Gewaltsame der pubertären Veränderung. Und auch dafür, dass dabei manchmal jemand auf der Strecke bleibt. Unser Setting ist jedoch ein anderes: Wir sind hierher gekommen, um den Zug ganz bewusst vorbeifahren zu lassen und jenen transitorischen Moment in seiner ganzen Schönheit zu genießen.

‚Twin Peaks‘, Fernsehserie von David Lynch & Mark Frost aus den Jahren 1990, 1991 und 2017

‚Stand By Me‘, Spielfilm von Rob Reiner aus dem Jahr 1986 nach Stephen Kings Erzählung ‚The Body‘